Demokratie 2.0: Visionen einer offenen Regierung

5 05 2012

SENDUNG: Matrix, Sonntag, 6. Mai 2012, 22:30 Uhr, Ö1

Soziale Medien beeinflussen das Verhalten der Menschen. Sie tun im Netz ihre Meinung kund, vernetzen sich und teilen Informationen mit allen anderen. Das verändert unsere Gesellschaft. Doch verändert es auch die Politik? Kann das Internet gar zu einer neuen Form der Demokratisierung führen? Wie bringt man Bürger dazu, sich aktiver zu beteiligen? Welche Daten soll eine Regierung zur Verfügung stellen, und in welcher Form? Und verhindern Transparenzinitiativen tatsächlich Korruption? Mit Fragen dieser Art beschäftigte sich Ende dieser Woche die CeDem, eine internationale Konferenz für e-Democracy und Open Government an der  Donau-Universität Krems. Experten aus aller Welt diskutierten über aktuelle und künftige Entwicklungen im Bereich elektronischer Demokratie und Open Government. Eine davon war die deutsche Open Government-Expertin Anke Domscheit-Berg.

Who opens Governments?

Politischer Aktivismus im Netz, Online-Beteiligung von Bürgern und Open Government: das waren die Schwerpunkte der heurigen CeDem-Konferenz in Krems. Die Türen des stillen Kämmerleins, also jenem Ort, wo derzeit Politik gemacht wird, die sollen geöffnet werden – Darin waren sich alle Referenten einig. Nur: Wer wird das tun? Schließen die Politiker von innen auf? Oder rennt die Zivilgesellschaft sie von außen ein? Mit dieser Frage beschäftigte sich die deutsche Open Government-Expertin Anke Domscheit-Berg, eine der Hauptrednerinnen der CeDem.

Domscheit-Berg beschäftigt sich schon seit etwa 10 Jahren mit dem Thema E-Government, insbesondere mit der Nutzung von Web 2.0 Anwendungen für Verwaltung und Politik. Sie ist Gründerin der Firma opengov.me  und bis 2011 war sie Direktorin für Öffentliche Verwaltungsbeziehungen bei Microsoft Deutschland.

In angelsächsischen Ländern, wie Großbritannien, USA und Austrialien wird diese Entwicklung sehr stark von oben nach unten getrieben, erklärt Anke Domscheit-Berg. Während in Deutschland und Österreich Open Government-Projekte vorwiegend von Graswurzelbewegungen vorangetrieben werden. Doch auch im englisch-sprachigen Raum war es zunächst die Zivilgesellschaft, die Transparenzplattformen ins Leben gerufen hatte, betont Domscheit-Berg. In den USA war das zum Beispiel OpenCongress.org – dort wird veröffentlicht, wie verschiedene Abgeordnete abgestimmt haben und wo welche Lobbyistengelder hingeflossen sind.

Bürger stellen Behörden bloß
In Großbritannien wiederum entstand die Plattform MySociety.org. Diese beinhaltet verschiedene Iniativen, wie FixMyStreet. Dort können Bürger Probleme mit der kommunalen Infrastruktur melden. Eine andere Initiative war WhatDoTheyKnow, ein Programm, über das man im Internet ganz einfach Anfragen an Behörden stellen kann. Dieser Internetservice weiß, welche Behörde zuständig ist und liefert auch gleich die passende Gegen-Argumente für die Standardausreden der Behörde, falls sie diese Informationen nicht rausrücken will. Das Beispiel machte Schule und inspirierte die Zivilgesellschaft in anderen Ländern. In Österreich gibt es zum Beispiel meineabgeordneten.at und amtsgeheimnis.at, in Deutschland fragdenstaat.de. Dort wird auch die Antwort der angefragten Behörde veröffentlicht.

Die britische Regierung verstand den Wink der Zivilgesellschaft und stellte im Jahr 2010 zahlreiche Verwaltungsdaten in maschinenlesbarer Form auf der Plattform data.gov.uk zur Verfügung. Programmierer können daraus Anwendungen basteln. „In Deutschland und Österreich warten wir noch darauf, dass diese Top Down Initiative der Regierungen folgt“, sagt Anke Domscheit-Berg, „es ist nicht so, dass gar nichts passiert. Ich würde mir nur wünschen, dass es sehr viel schneller geht.“ Auch die Stadt Wien hat in ihrer Initiative Offene Daten für Wien begonnen, Verwaltungsdaten zur Verfügung zu stellen.

Der gläserne Staat
Wenn von Open Government die Rede ist, dann assoziieren das viele automatisch mit Open Data, also mit offenen Regierungsdaten. Doch tatsächlich umfasst das Konzept mehr. Open Government bedeutet: Transparenz, Kollaboration und Partizipation. Bei Transparenz geht es auch um die Transparenz von Entscheidungsprozessen: Wer sitzt im nationalen Verhandlungsteam der ACTA-Gespräche? Welche Lobbyisten hat der Minister wann getroffen? All das sollte im Internet einsehbar sein.

„Es geht aber auch um die Transparenz über die Folgen von Entscheidungen“, so Domscheit-Berg, „zum Beispiel wurden in Deutschland im zweiten Konjunkturpaket 50 Milliarden Euro – ich sags jetzt ein wenig despektierlich – verbrannt. Doch kein Mensch weiß: Hat es Konjunktur gefördert? Wenn ja bei wem und wie viele Jobs wurden geschaffen“. Die US-Bürger wiederum können solche Informationen im Internet nachlesen. Denn dort gibt es recovery.gov.

Chinesische Amtsmauern
Die zweite Ebene von Open Government ist Kollaboration, sagt Anke Domscheit-Berg. Regierungen sollen mit ihren Bürgern zusammenarbeiten. Zum Beispiel in Form von Wettbewerben für die beste Handy-Applikation, die mit Regierungsdaten erstellt wurde.

Aber auch die einzelnen Regierungsbehörden untereinander sollten besser zusammenarbeiten. „Das Konzept Amtsgeheimnis bezieht sich ja nicht nur auf die Behörde und ihre chinesische Mauer, sondern auch auf das einzelne Büro und den einzelnen Tisch des Beamten. Da gibt es auch eine kleine chinesische Mauer“, kritisiert Domscheit-Berg. Wissen ist Macht und daher darf eine Behörde nicht wissen, was die andere tut.

Kanada zeigt vor, dass es auch anders geht. Dort gibt es ein allgemeines Verwaltungswiki für alle. „Da können Beamte einer Kleinstadt genauso hineinschreiben wie die der Bundesbehörde. So etwas kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen“, meint die Open Government Expertin.

Frag die Bürger
Die dritte Achse von Open Government ist Partizipation. Der Staat soll seine Bürger um ihre Meinung fragen und online mitbestimmen lassen: Zum Beispiel, wie eine bestimmte Fläche gestaltet werden soll oder wie eine Gemeinde ihr Geld ausgeben soll. Sogenannte partizipative Bürgerhaushalte gibt es bereits in zahlreichen Städten der Welt. Hierzulande hat die Politik Angst davor.

Dabei biete Öffnung eine Chance, etwas gegen die viel zitierte Politikverdrossenheit zu unternehmen, ist Domscheit-Berg überzeugt: „Da gibt es bereits Druck. Und wenn sich Politiker dem zu lange verschließen, werden sie eben nicht mehr gewählt.“ Die Piratenpartei liegt derzeit bei Umfragen in Deutschland bei 12 Prozent. Für Anke Domscheit-Berg ganz eindeutig ein Zeichen, dass sich die Erwartungen und Wünsch der Bürger geändert haben.

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Mehr zur CeDem 2012:

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Reboot_D: Digitale Demokratie. Alles auf Anfang


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2 responses

14 05 2012
CeDEM12 Summary « Digital Government & Society

[…] Demokratie 2.0, Visionen einer offenen Regierung (Ulla Ebner) […]

6 05 2012
Mit Open Government die Korruption bekämpfen? « Ulla Ebner

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