#ForaDilma: Massendemos für Amtsenthebung der Präsidentin

16 03 2015
SENDUNG: Ö1 Morgenjournal, Montag, 16. März 2015 
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In zahlreichen Städten in Brasilien sind am Sonntag insgesamt 1,5 Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Regierung zu protestieren. Allein in São Paulo, einer Hochburg der Opposition, schätzt die Militärpolizei die Zahl auf eine Million Menschen, 45.000 in der Hauptstadt Brasilia, 15.000 in Rio de Janeiro. Die Demonstranten forderten die Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff von der gemäßigt linken Arbeiterpartei. Das Land kämpft schon seit Jahren gegen eine Wirtschaftskrise. Für besonderen Ärger in der Bevölkerung sorgt außerdem ein riesiger Korruptionsskandal rund um den staatlich kontrollierten Erdölkonzern Petrobras. Dort hatten mehrere Parteien der Regierungskoalition jahrelang Gelder in Milliardenhöhe abgezweigt.

Foto (c) Johannes Schmidt

Damit Brasilien nicht Kuba wird…

„Arbeiterpartei raus, nimm Dilma gleich mit“ und „Geht nach Kuba“, rufen die Demonstranten an der Copacabana in Rio de Janeiro. Eine Gruppe hält ein großes Transparent mit der Aufschrift „Brasilien wird kein neues Kuba“ in die Höhe. Die Mehrheit ist heute gelb und grün gekleidet – den Nationalfarben Brasiliens. Es sind großteils Angehörige der Mittelschicht. Es ist nicht das übliche Bild von jungen Demonstranten, das Durchschnittsalter ist hier auffällig höher. An der Strandpromenade der Copacabana marschieren wütende, gut situierte reifere Damen auf, mit Goldkettchen und Perlenohrringen. Als ein Militärhubschrauber tief über der Kundgebung kreist, beginnt die Menge zu applaudieren und den Militärpolizisten freudig zuzuwinken.

In Lateinamerika bilde sich gerade ein Block von kommunistischen Staaten, meint ein Demonstrant, daher sei es wichtig den Kommunismus innerhalb Brasiliens zu bekämpfen. Die Präsidentin habe das Land in eine wirtschaftliche, eine politische und eine moralische Krise geführt, beklagt eine junge Frau. Immerhin kämpft das Schwellenland seit fünf Jahren gegen die Wirtschaftskrise. Kurz nach Antritt ihrer zweiten Amtszeit im Jänner verkündete Dilma Rousseff ein Sparpaket. Der Strompreis stieg um 20 Prozent.

foto (c) johannes schmidt

Millionen für die Parteikassen
Er habe genug von der ganzen Korruption, jeden Tag müsse er neue Skandalmeldungen in der Zeitung lesen, empört sich ein andere Teilnehmer der Kundgebung: „Das hält ja keiner mehr aus!“ Der Korruptions-Skandal rund um den staatlich kontrollierten Erdölkonzern Petrobras war bereits während des Wahlkampfs ans Tageslicht gekommen und hatte der Arbeiterpartei viele Stimmen gekostet. Jetzt wird die Justiz aktiv. Im Zusammenhang mit dem Schmiergeldskandal rund um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras genehmigte das brasilianische Höchstgericht vor kurzem Ermittlungen gegen knapp 50 Politiker – 6 davon gehören der Arbeiterparte (PT) an. Letzte Woche sagte Pedro Barusco, Ex-Manager der Petrobras, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus: Ihm zufolge seien in den letzten 10 Jahren umgerechnet 185 Millionen Euro über die Petrobras für die Parteikasse der regierenden Arbeiterpartei abgezweigt worden. Er selbst habe etwa 50 Millionen an Bestechungsgeld erhalten und auf Schweizer Bankkonten gelagert. Dort wurden sie mittlerweile gefunden und „repatriiert“.

foto (c) johannes schmidt

„Impeachment“ (in unterschiedlich abenteuerlichen Schreibweisen) – Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff – das ist heute auf zahlreichen Transparenten zu lesen. Tatsächlich ist eine solche Amtsenthebung unwahrscheinlich. Denn dafür müsste man der Präsidentin kriminelle Machenschaften nachweisen, Senat und Abgeordnetenkammer müssten mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Bis jetzt wird die Präsidentin selbst nicht auf der Liste der Verdächtigen im Petrobras-Skandal geführt. „Ich fordere keine Amtsenthebung“, erklärt mir ein Demonstrant, „die Präsidentin soll lieber freiwillig zurücktreten.“ Danach soll es Neuwahlen geben, aber es sei ihm auch recht, wenn Vizepräsident Michel Temer (PMDB) das Präsidentenamt übernehme, so der junge Mann. Auf meinen Einwand, dass doch auch die PMDB bis zum Hals in den Petrobras-Skandal verwickelt sei, erklärt mit die Freundin des jungen Mannes: „Ja, aber das ist nicht so schlimm. Seine Partei ist wenigstens nicht so linksextrem, wie die PT.“

foto (c) johannes schmidt

Zurück in die Diktatur?
Die meisten Kundgebungen verliefen friedlich. In São Paulo jedoch verhaftete die Polizei 20 Angehörige der rechtsradikalen Organisation „Carecas do Suburbio“, die Sprengkörper bei sich hatten. In mehreren Städten tauchten vereinzelte Demonstranten auf, die offen eine neue Militärdiktatur in Brasilien forderten.

Am Freitag davor waren in mehreren brasilianischen Städten zehntausende Gewerkschafter und Unterstützer der Regierung auf die Straße gegangen. Sie bezeichneten die Forderung nach Amtsenthebung als Versuch eines Staatsstreichs und meinen, es könne keinen „dritten Wahlgang“ geben. Die aktuelle Demonstrationswelle zeigt einmal mehr die tiefe Gespaltenheit der brasilianischen Gesellschaft.


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