TTIP (1) Umstrittener Freihandel

30 12 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Montag, 28. Dezember 2015, 9:30 Uhr
7 Tage Ö1 zum Nachhören

Schon seit vielen Jahren üben zivilgesellschaftliche Organisationen Kritik an der Handelspolitik der EU. Zunächst ging es dabei um Freihandelsabkommen mit Entwicklungs- und Schwellenländern: Knebelverträge, mit denen Europa arme Länder ausbeute, lautete der Vorwurf. Doch seit die EU begonnen hat, Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada zu verhandeln, wird der Widerstand dagegen zu einer Massenbewegung: Denn die Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP – mit den USA – und CETA – mit Kanada – werden sich auch auf die europäischen Bürger und Bürgerinnen auswirken. Im Herbst diesen Jahres gingen in Europas Städten hunderttausende Menschen gegen TTIP auf die Straße.

(c) Global 2000

(c) Global 2000

Ins Herz der Gesellschaft

Die Debatte verläuft emotional und hitzig rund um das geplante Freihandelsabkommen TTIP – dem transatlantischen Abkommen zwischen der Europäischen Union und USA. Mehr als drei Millionen besorgter Europäer und Europäerinnen haben eine Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben. Etwas weniger Aufmerksamkeit bekommt CETA, ein ganz ähnliches Abkommen mit Kanada. Der Wirtschaftssektor und die EU-Kommission verstehen die Welt nicht mehr: Schließlich sollten TTIP und CETA ja Wachstum und Arbeitsplätze bringen. Woher also der Unmut? Den Rest des Beitrags lesen »





Tropicalismo & MPB (3) Zensur und Verfolgung

9 09 2015
SENDUNG: Radiokolleg "Brasiliens Musik unter der 
Militärdiktatur", Mittwoch, 9. September 2015, 
9:45 und 22:40 Uhr, Ö1

Rio de Janeiro 1974: Der Sänger Chico Buarque de Holanda präsentiert das Lied eines Komponisten aus der Favela namens Julinho de Adeleide. „Acorda Amor“ (Wach auf, meine Liebste), so der Titel. Das Lied handelt von einer Episode aus dem Leben des Julinho de Adeleide, erzählt Chico Buarque. Der Kleinkriminelle wird eines Tages aus dem Schlaf gerissen, weil die Polizei an seine Tür klopft.

 acordaamor

Kein richtiger Sänger

Es ist eine Erfahrung, die Chico Buarque mit dem Autor des Liedes verbindet. Im Dezember 1968 war Chico im Morgengrauen verhaftet worden. Wenige Tage davor hatte Diktator Costa e Silva ein neues Gesetz erlassen, das Bürgerrechte, Versammlungs- und Meinungsfreiheit außer Kraft setzte. Die Verfolgung von Regimekritikern beginnt. Den Rest des Beitrags lesen »





Tropicalismo & MPB (2) Musikfestivals als Orte des Protests

8 09 2015
SENDUNG: Radiokolleg "Brasiliens Musik unter der 
Militärdiktatur", Dienstag, 8. September 2015, 
9:45 Uhr und 22:40 Uhr, Ö1 / 
7 Tage Ö1 zum Nachhören

proibido

„Ihr versteht wirklich überhaupt nichts!
Was für eine Jugend soll das sein???
Wisst ihr, wem ihr ähnelt? Ihr ähnelt jenen, die zum Stück „Roda Viva“ gingen und die Schauspieler verprügelten…“

Publikumsbeschimpfung auf Brasilianisch. Im November 1968, am 4. Festival der brasilianischen Musik in São Paulo, performt der Musiker Caetano Veloso, Protagonist der Tropicalia-Bewegung, gemeinsam mit der Band „Os Mutantes“ seinen Beitrag „É proibido proibir“ (Es ist verboten zu verbieten). Das Publikum ist gar nicht begeistert.

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Tropicalismo & MPB (1) Musik und Widerstand

7 09 2015
SENDUNG: Radiokolleg "Brasiliens Musik unter der 
Militärdiktatur", Montag, 7. September,
9:45 Uhr und 22:40 Uhr, Ö1 
7 Tage Ö1 zum Nachhören 

Francisco Soriano ist leidenschaftlicher Akkordeon-Spieler. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund, dem Menschenrechtsanwalt Modesto da Silva sitzt er heute in seinem Wohnzimmer in Rio de Janeiro und musiziert. „Viele ehemalige Mitkämpfer haben ihr Trauma nie überwunden. Sie sind Alkoholiker geworden oder haben sich umgebracht“, erzählt Soriano, „was mir persönlich geholfen hat, nicht den Verstand zu verlieren, das war die Musik.“ Die beiden ehemaligen Widerstandskämpfer trinken chilenischen Rotwein und erzählen von der alten Zeit, die für sie keine gute Zeit war.

Plattencover "Tropicalia. Ou panis et circensis"

Feinfühlige Musik junger Intellektueller

1964 putscht sich in Brasilien das Militär an die Macht. Damals war Francisco Soriano in der Gewerkschaft des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras aktiv. Nach dem Putsch verliert der überzeugte Kommunist seine Arbeit. Er schließt sich dem bewaffneten Widerstand an, wird geschnappt, eingesperrt und gefoltert. Den Rest des Beitrags lesen »





Militärdiktatur (4) Das Erbe der Diktatur

1 05 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Donnerstag, 16. April 2015, 
9:30 Uhr, Ö1

März 2015. Hunderttausende Menschen gehen in Brasilien auf die Straße. Anlass für die Wut ist ein Korruptionsskandal rund um den staatlich kontrollierten Erdölkonzern Petrobras. Es ist großteils die gut situierte Mittelschicht, die hier demonstriert. Sie fordert die Absetzung der linken Präsidentin Dilma Rousseff. „Wenn wir zulassen, dass alles so weiter geht, dann enden wir wie Venezuela oder Kuba. Oder noch schlimmer“, meint eine Demonstrantin. Ein junger Mann ist der Meinung, man müsse den Kommunismus in Brasilien bekämpfen, denn schließlich bilde sich in Lateinamerika gerade ein Block kommunistischer Staaten.

foto: Felipe Braga, Wikimedia Commons

Brasil Nunca Mais?

Immer wieder tauchen in den Demonstrationen sogar Plakate auf, die eine Militärintervention erbitten. „Wenn du ein Krebsgeschwür hast, dann musst du es mit drastischen Mitteln entfernen. Eine Intervention der Armee wäre das beste“, sagt eine junge Frau unverblümt in eine Kamera. Über soziale Medien verbreiten sich Video-Botschaften, wie diese: „Brasilianische Streitkräfte, kommt und setzt der Korruption dieser kommunistischen Regierung ein Ende. Ein Land mit 200 Millionen Einwohnern, mit so vielen Reichtümern und Bodenschätzen, kann doch nicht von einer Diebesbande aus den sozialen Bewegungen regiert werden.“ Den Rest des Beitrags lesen »





Militärdiktatur (3) Unterdrückung und Widerstand

15 04 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Mittwoch, 15. April 2015, 
9:30 und 22:40 (WH), Ö1

Im Jahr 1968 wird Brasilien von einer Protestwelle überzogen. Studenten, Künstler, Intellektuelle gehen auf die Straße. Das ganze kulminiert als am 28. März der Student Edson Luiz von der Militärpolizei erschossen wird. Im Juni organisiert die Studentenbewegung in Rio de Janeiro den Marsch der Hunderttausend. Ab jetzt greift das Regime mit harter Hand durch: es wird scharf geschossen, Studentenführer verhaftet. Im Dezember erlässt Diktator Costa e Silva den sogenannten Institutionellen Akt Nummer Fünf (AI-5). Ab sofort sind alle Kundgebungen untersagt, die Verfassung außer Kraft gesetzt, das Parlament geschlossen. Die „Anos do Chumbo“, die „bleiernen Jahre“ beginnen.

(c) Cid Benjamin

Polizeiakte von Cid Benjamin

 

Ein legitimer politischer Fehler

„Wir wurden regelrecht in den bewaffneten Widerstand gedrängt“, erzählt der ehemalige Widerstandskämpfer Cid Benjamin. Er ist ein Kind der 1968-er Generation. Bis zum AI-5 war er Studentenführer in Rio de Janeiro gewesen. „Plötzlich blieben uns kaum noch legale Möglichkeiten für den politischen Widerstand: die Presse wurde zensiert, der Kongress war geschlossen, die Repression enorm. Außerdem waren wir von zwei ausländischen Vorbildern beeinflusst: der Revolution in Kuba und dem Krieg in Vietnam. Der zeigte: der Kleine kann den Großen besiegen – wenn er den Rückhalt der Bevölkerung hat.“ Den Rest des Beitrags lesen »





Militärdiktatur (2) Die Unternehmen und die Repression

14 04 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Dienstag, 14. April 2015, 
9:30 und 22:40 Uhr, Ö1

São Paulo, 15. April 1971. Im Nobelviertel Jardins fallen Schüsse am helllichten Tag. Henning Albert Boilesen (55) wird am Steuer seines Wagens getroffen. Es gelingt ihm noch auszusteigen, auf der Flucht bricht er unter dem Kugelhagel zusammen, mit insgesamt 19 Schusswunden. Der gebürtige Däne war Manager der Gruppe Ultragaz, einem brasilianischem Konzern aus dem Energie- und Treibstoffsektor. Er war bereits in den 1930er Jahren nach Brasilien ausgewandert.

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Die seltsamen Hobbys der Manager

„Boilesen stand auf einer Exekutionsliste der Guerilla“, erzählt Historiker Demian Melo, „auf dieser Liste waren Leute, die von verhafteten Widerstandskämpfern während Folterungen erkannt wurden. Es gibt Erzählungen, wonach einige Unternehmer dafür bezahlten, dass sie bei Folterungen persönlich dabei sein durften. Wir haben Zeugenaussagen – sogar von ehemaligen Angehörigen der Armee – wonach nicht nur nur Boilesen in den Folter-Zentren in São Paulo vorbeischaute, sondern einige Unternehmer. Aber Boilesen tauchte besonders oft auf, darum wurde er mehrfach identifiziert.“ Den Rest des Beitrags lesen »





Militärdiktatur (1) Vom Ende und Anfang der brasilianischen Demokratie

13 04 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Montag, 13. April 2015, 9:30, Ö1 

Frühjahr 1985. José Sarney wird als Präsident Brasiliens angelobt. Der ursprünglich für das Amt vorgesehene Tancredo Neves ist am 21. April an einer Darmerkrankung verstorben – noch bevor er sein Amt antreten kann. Und so wird sein Vize, José Sarney, der erste zivile Staatschef nach 21 Jahren Militärdiktatur. Nach fünf Diktatoren aus den Reihen der Generäle. Brasilien hat den Weg zurück zur Demokratie beschritten. Doch ganz war es dort im Jahr 1985 noch nicht angekommen, meint der brasilianische Zeithistoriker Carlos Fico: „Es gibt eine große Debatte über das Ende der Diktatur. Einige Autoren sagen, das Ende des Militärregimes beginnt eigentlich schon 1979, als das Amnestiegesetz für politische Häftlinge erlassen wurde. Andere wiederum sagen: nein, die Diktatur war auch 1985 noch nicht zu Ende. Denn die Regierung Sarney wurde im Hintergrund immer noch von den Militärs kontrolliert. Aber ich glaube, wir können schon sagen, dass die Wahl des ersten zivilen Präsidenten ein wichtiger Einschnitt war.“

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José Sarney

 

30 Jahre Ende der Militärdiktatur

In den frühen 1980er Jahren, der vergleichsweise milden Spätzeit der Diktatur, hatte sich eine Bürgerbewegung gegründet. Hunderttausende Menschen trauten sich wieder auf die Straßen und forderten „Dirétas Ja“ – Direktwahl des Präsidenten, so wie es vor Beginn der Diktatur üblich gewesen war. Doch das ging den Militärs zu weit: Sie hatten zwar begonnen, das Land zu öffnen, das strenge Regime zu lockern. Doch der Präsident sollte dann doch von einem – von ihnen kontrollierten – Wahlkomitee bestimmt werden: „Was komisch und irgendwie traurig ist: Trotz der Kampagne „Diretas Ja“, trotz der Streiks, trotz der Studentenbewegung, schafften wir es nicht, den Prozess der langsamen und schrittweisen Öffnung zu beeinflussen“, meint Carlos Fico, „wir schafften es nicht, direkte Präsidentschaftswahlen durchzusetzen. Die Öffnung wurde von den Militärs gesteuert. Das ist traurig und ein sehr umstrittenes Thema hier in Brasilien.“ Den Rest des Beitrags lesen »





Musica Nordestina (4) Manguebeat, Frevo und Maracatu Rural

22 01 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Donnerstag, 22. Jänner 2015
 9:45 und 22:40 Uhr, Ö1
 7 Tage Ö1 zum Nachhören

Sonntag Nachmittag in Olinda. Das Nachbar-Städtchen von Recife, der Hauptstadt des nordostbrasilianischen Bundesstaates Pernambuco, wirkt mit seinen gut renovierten Kolonialgebäuden fast wie ein Freilichtmuseum. Am Aussichtspunkt Alto da Sé in Olinda trifft man sie unweigerlich: die Repentistas. Sie treten stets zu zweit auf, spielen auf 12-saitigen Steel-Gitarren und dichten mehr oder weniger spontan Ständchen für Touristen.

Foto (c) Sigrid Stroh, Ilse Koglbauer

Repente findet man fast überall im Nordosten: in Alagóas, Pernambúco, Paraíba, in Ceará. “Das kommt aus der Tradition der Troubadoure in Italien, Portugal, Spanien”, erklärt der Perkussionist Francisco Luna de Rocha, “hier in Brasilien ist es meist eine sprachliche Herausforderung. Die Repentistas erzählen eine Geschichte oder auch ein Gedicht, in vier, sechs, acht oder zwölf Zeilen. Dabei wird viel improvisiert.” Den Rest des Beitrags lesen »





Musica Nordestina (3) Forró: Lieder gegen das Heimweh

21 01 2015
SENDUNG: Radiokolleg, Mittwoch, 21. Jänner 2015
9:45 und 22:40 (WH) 
7 Tage Ö1 zum Nachhören

Das Veranstaltungslokal Clube dos Democráticos in Lapa, dem bekanntesten Ausgehviertel in Rio de Janeiro. Jeden Mittwoch steht hier Forró auf dem Programm, ein Rhythmus aus dem Nordosten des Landes. Auf der gut gefüllten Tanzfläche drehen sich jüngere und ältere Paare zur Live-Musik des bekannten Trio Nordestino: „Die Leute hier in Rio tanzen Forró so, als wäre es ein feiner Gesellschaftstanz“, meint Musiker Coroneto, „das erinnert stark an Samba Gafiera, sehr kompliziert mit vielen Drehungen und Figuren. Im Nordosten ist das ganz anders. Dort sind die Tanzflächen meist winzig klein und man tanzt ganz eng Körper an Körper. Ohne Figuren.“

(c) Trio Nordestino

Coroneto, alias Carlos Alberto dos Santos Santana, spielt die Bass-Trommel, die sogenannte Zabumba, beim Trio Nordestino. Die Band existiert bereits seit dem Jahr 1958 – wenn auch inzwischen nicht mehr in der legendären Originalbesetzung. Coroneto ist Enkelsohn des Bandgründers Coroné. Sänger und Triangel-Spieler Luiz Mario ist Sohn des ursprünglichen Akkordeonisten Lindú. Nein, der Vater habe ihn nicht zum Musizieren genötigt, erzählt Luiz Mario: „Ganz im Gegenteil. Den Rest des Beitrags lesen »