Ghana: Die Elektromülldeponie Europas

6 12 2011

SENDUNG: Digital.leben, Dienstag, 6. Dezember 2011,
16:55 Uhr, Ö1

Laut Vereinten Nationen fallen pro Jahr 50 Millionen Tonnen Elektromüll an. Knapp 9 Millionen Tonnen davon in der EU. Allerdings dürfte nur etwa Drittel davon ordnungsgemäß gesammelt und behandelt werden. Was mit dem Rest passiert, damit beschäftigt sich seit Jahren der Umweltjournalist Mike Anane aus Ghana, in Westafrika. Denn in seiner Heimat wachsen die Müllberge voller Bildschirme, Computergehäuse und alten Handys in den Himmel. Viele der Geräte kommen eindeutig aus Europa. Dabei ist es für EU-Staaten illegal, ihren Müll ganz einfach in Entwicklungsländern abzuladen. Und doch landet er dort.

Giftige Schwermetalle

Agbobloshie ist ein Armenviertel in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Dort befindet sich die größte Mülldeponie des Landes. Die Menschen in den umliegenden Slums leben großteils davon, den Müll nach Kupfer und Eisen zu durchwühlen. Denn das lässt sich zu Geld machen. Um an die Metalle zu gelangen, verbrennen sie Plastikhüllen und Kabel. Tag und Nacht steigt dort Rauch mit giftigen Dämpfen in die Luft, erzählt der Umweltjournalist Mike Anane: „Es ist die Hölle – so kann man diese Mülldeponien beschreiben. 24 Stunden lang brennt es und die Menschen sind ständig giftigen Schwermetallen ausgesetzt.“ Mehr als 50 giftige Schwermetalle können in elektronischen Geräten enthalten sein, darunter Blei, Zink und Cadmium.

Auf der Deponie laufen hunderte Kinder herum. Entweder um zu spielen oder um Kupfer zu suchen. Oft schneiden sie sich, erzählt Ananae: „Zum Beispiel, wenn sie die Bildschirme mit Steinen einschlagen. Die Kinder gehen dann natürlich nicht ins Krankenhaus und oft infizieren sich die Wunden. Wir sprechen hier von Kindern zwischen 5 und 17 Jahren.“

AUDIO: „Philips, Sony und Dell haben eine Verantwortung“. Mike Anane über europäischen Elektromüll.(1:18)

Schrott getarnt als Entwicklungshilfe
Etwa 40 Cent pro Tag verdienen die Kinder an den gefundenen Altmetallen. Viele der Anrainer leiden unter Atemwegserkrankungen oder Krebs, sagt Mike Anane. Er stammt selbst aus der Nähe dieser Gegend. Als er zur Schule ging, war dort, wo jetzt die Müllhalde ist, eine grüne Wiese, erzählt er, und in der nahegelegenen Lagune gab es jede Menge Fische. Heute ist alles tot. Seit er damals vor acht Jahren erstmals einen LKW sah, der vom Hafen direkt nach Agbobloshie fuhr, um kaputte Elektrogeräte abzuladen, verfolgt Mike Anane die Wege des Elektromülls.

Es seien vor allem private Recycling-Firmen, die den Elektromüll nach Afrika bringen würden, so Anane: „Sie behaupten, den Müll zwecks Wiederverwertung zu sammeln. Aber das tun sie gar nicht. In Wahrheit verpacken sie ihn auf Schiffe und schicken ihn nach Ghana.“ Offiziell werde das Ganze dann natürlich nicht als Mülle deklariert. Laut Frachtpapieren handelt es sich um funktionierende Second-Hand-Ware. „Aber meine langjährigen Nachforschungen haben ergeben, dass 80 Prozent davon reiner Schrott ist, den niemand mehr verwenden kann“, so der Umweltjournalist. Am Hafen von Accra warten dann bereits die Gebrauchtwarenhändler. Sie kaufen den Transportunternehmen jene Geräte ab, die noch halbwegs funktionstüchtig ausschauen. Das ist natürlich immer ein großes Risiko, so Anane, denn sie haben keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Geräte wirklich funktionieren.

Der politische Wille fehlt
Mike Anane hat viele Male Geräte auf den Mülldeponien untersucht.Mike Anane hat viele Male Geräte auf den Mülldeponien untersucht. Er fand aufgeklebte Etiketten, woher sie stammen: zum Beispiel aus europäischen Schulen, Banken oder Spitälern. Auch Etiketten aus Österreich waren darunter. Jeden Monat kommen 500 Container voll mit Elektromüll nach Ghana, sagt er – doch niemand will es gewesen sein. Immerhin haben ja die EU-Staaten, ebenso wie Kanada und Australien, 1989 das Basler Übereinkommen unterzeichnet. Darin verplichten sie sich zu umweltgerechter Abfallentsorgung. Giftmüll in afrikanische Entwicklungsländer zu karren wird da dezidiert verboten.

Der Umweltminister von Ghana hat bereits mit EU-Vertretern über das Problem gesprochen. Die EU sagt: man müsse erst Nachforschungen anstellen und dann werde man sich geeignete Maßnahmen überlegen. Doch das sagen sie seit Jahren, beklagt Mike Anane, und das Problem werde immer größer: „Es wäre wichtig, dass die europäischen Regierungen endlich den politischen Willen zeigen, um diese Transporte zu stoppen. Die Folgen für Menschen und Umwelt in Ghana sind entsetzlich – das ist einfach zuviel für unser Land.“

Damit der PC nicht in Afrika landet…
In der Praxis seien die Kontrollen in den europäischen Häfen lückenhaft, sagt Christine Schröder von der NGO Südwind Agentur. Bei einem Besuch in Hamburg habe sich herausgestellt: Es gibt am gesamten Hafen nur vier Kontrolleure, die stichprobenartig nachschauen, was die Container wirklich geladen haben. Sprich: ob es sich tatsächlich um funktionierende Second-Hand-Geräte handelt oder um Elektromüll.

Will man vermeiden, dass der alte PC auf einer afrikanischen Mülldeponie landet, so bringt man ihn hier in Österreich am besten zu einer öffentlichen Deponie der Gemeinde, sagt Christine Schröder, oder auch zu einem ReUse-Zentrum, das für Reparatur und Wiederverwendung in Österreich sorgt: „Was man gar nicht tun sollte: die Geräte privaten Schrotthändlern geben, die sagen, dass sie sie nach Afrika schicken, damit arme Kinder auch einen Computer haben. Denn da kann man sich am wenigsten sicher sein, was mit den Geräten geschieht.“ Die Südwind Agentur fordert von der Elektronikindustrie Geräte, die weniger giftig sind und länger halten. Und von den europäischen Regierungen: strengere Kontrollen, mehr Sammelstellen und bessere Recyclingsysteme in Europa.


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Eine Antwort

8 06 2012
yes

Nicht nur in Afrika herrschen solche Zustände. Schwermetalle die durch Verbrennung entstehen können selbst mit modernen Filteranlagen nicht zurückgehalten werden und gelangen in die Luft. Elektronikmüll gelangt auch in unseren normalen Abfall und wird innerhalb von europäischen Städten verbrannt.

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