Die Behandlung der Opfer: Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten

20 07 2011

SENDUNG: Kontext – Sachbücher und Themen, Mittwoch, 20. Juli 2011, 16:00 Uhr und Freitag, 22. Juli 2011, 9:05 Uhr (WH), Ö1

Kann man die Traumata von Menschen, die Krieg, Folter, Vergewaltigung, Demütigung oder die Ermordung von Angehörigen erlebt haben, jemals wieder heilen? Grundsätzlich schon, sagt der renommierte Trauma-Therapeut Klaus Ottomeyer von der Universität Klagenfurt. Aber es hängt sehr stark davon ab, wie man mit den Opfern nach Ende der traumatischen Erlebnisse umgeht. Diese Problematik beschreibt er in seinem aktuellen Buch „Die Behandlung der Opfer. Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten“. Das Wort „Behandlung“ ist hier durchaus zweideutig zu verstehen, denn es geht einerseits um therapeutische Behandlungsmethoden von Traumata, aber andererseits auch um die Art und Weise, wie die europäische Gesellschaft Traumaopfer – seien es Flüchtlinge aus Afrika und Asien oder Holocaust-Überlebende – behandelt. Denn die Herabwürdigung der Opfer durch Politiker, Medien und Asylbehörden führe häufig zu einer schweren Re-Traumatisierung. Klaus Ottomeyer erzählt aus seiner langjährigen Erfahrung als Therapeut und Leiter der Trauma-Beratungsstelle Aspis in Klagenfurt. Für diese Arbeit wurde Aspis im Mai mit dem Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet. 

Plötzlich wird alles sinnlos

Man solle zwischen den einzelnen Kapiteln nach Möglichkeit Erholungspausen einlegen, empfiehlt Klaus Ottomeyer im Vorwort seines Buches, denn die Fallgeschichten, die hier geschildert werden, könnten für den Leser belastend sein. Und das sind sie. Klaus Ottomeyer berichtet von Menschen, die in Erdlöcher gesperrt und mit Bügeleisen verbrannt wurden. Aber auch von der griechischen Küstenwache, die Bootsflüchtlingen das Geld stiehlt, um sie dann auf hoher See wieder auszusetzen und von diversen Schikanen österreichischer Asylbehörden, die den Opfern ihre Geschichten nicht glauben wollen und sie wie Simulanten behandeln.

Und gerade das sei für die Opfer sehr verletzend und entwertend, sagt Ottomeyer: „Oft ist für sie diese Entwertung hier verletzender als das, was ihnen in ihrem Heimatland passiert ist.“ Wenn einem niemand glaubt, werde das, was man erlitten hat; das, wofür man gekämpft hat, plötzlich sinnlos. Auch KZ-Aufseher sollen seinerseits die Insassen verhöhnt haben, von wegen, dass ihnen das ohnehin nie jemand glauben würde, was sie hier erlebt hätten.

Verfolgte gehen nicht zum Zahnarzt?
Ein österreichischer Asyl-Beamter zweifelt an der Glaubwürdigkeit eines kurdischen Mannes, dessen Körper von Folternarben überzogen ist, weil dieser sich nicht mehr erinnern kann, wie er zu den schweren Brandwunden auf seiner Brust gekommen ist. Dabei seien Gedächtnislücken gar nicht so ungewöhnlich bei Folteropfern, versichert Trauma-Experte Ottomeyer. Das sei quasi ein Selbstschutz der Psyche.

Einem anderen Beamten kommt es suspekt vor, dass ein Mann aus Tschetschenien vor seiner Flucht noch einen Zahnarzt aufgesucht hat – nachdem ihm seine Peiniger sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen hatten. „Es ist empirisch ganz gut erforscht, dass die Behandlung der Opfer nach der unmittelbaren Verfolgung sehr wichtig ist“, erklärt Ottomeyer. Nur wenn diese gut sei, gebe es Chancen auf Heilung der Traumata.

Einfühlung muss übertönt werden
Psychotherapeut Ottomeyer liefert auch Erklärungen für das schikanöse Verhalten der Beamten. Nur teilweise handle es sich um Sadismus und die Lust, Macht auszuüben. Die wenigsten Menschen seien von Grund auf schlecht. Doch „wer mit Traumatisierten arbeitet weiß, wie sehr sich die Verletzung der Würde auf der Seite des Opfers auch auf der Seite des Helfers oder der Helferin niederschlägt“, schreibt er. Das gelte auch für Asylbeamte, die täglich mit grauenvollen Geschichten konfrontiert werden. Sie bekommen für gewöhnlich keine psychologische Betreuung und können – anders als die Leser und Leserinnen des Buches – auch keine Erholungspausen einlegen.

Die Menschen seien nicht grundböse, betont Ottomeyer, auch die Härtesten seien irgendwie gerührt, wenn sie so eine Flüchtlingsfamilie mit kleinen Kindern sehe, das greife ihnen schon ans Herz: „Aber dieser Teil der Emotion wird dann gewissermaßen weggesperrt, wenn uns die Hilfsbedürftigen zu nahe kommen. Die Einfühlung, die im Prinzip da ist, wird abgewehrt. Und diese Abwehr muss manchmal ganz heftig sein und brutal, weil sie ja sehr viel Einfühlung übertönen muss.“

Den psychotischen Kosmos fernhalten
Eine dieser Gründe, weshalb die Hetze gegen Flüchtlinge in Europa auf so fruchtbaren Boden fällt, ist, dass wir unsere eigene heile Welt schützen wollen. Wir wollen nicht wahrhaben, dass dieses Grauen in der Welt existiert, darum verleugnen wir es. Wir versuchen, den „psychotischen Kosmos“, wie Klaus Ottomeyer die traumatisierenden Erlebnisse nennt, von uns fernhalten. „Wenn Sie zum Beispiel an Menschen denken, die aus Tschetschenien kommen, dann müssen Sie davon ausgehen, dass die alle die Hölle erlebt haben. Wenn die jetzt hierher kommen, künden die ja irgendwie von der Existenz dieses Grauens – und das halten wir nur ganz schwer aus“, erklärt der Autor. Die Flüchtlinge würden unser Urvertrauen angreifen, das wir als Kinder erworben haben. Das Urvertrauen, dass die Welt, in der wir leben, heil ist.

AUDIO: Klaus Ottomeyer über den psychotischen Kosmos

„Nicht trotz Auschwitz, sondern wegen Auschwitz“
Und deshalb seien viele Menschen dankbar, wenn sie von Politikern hören und in Boulevardblättern lesen, das seien ja nur Wirtschaftsflüchtlinge, die unwahre Geschichten erzählen. Doch wir wollen nicht nur das Grauen abwehren, sondern auch unser eigenes schlechtes Gewissen, sagt Klaus Ottomeyer. Das schlechte Gewissen, weil wir nicht helfen können oder wollen, das schlechte Gewissen, weil es uns gut geht. Es entspreche auch der Logik der kapitalistischen Konsumgesellschaft alles auszublenden, was die Lust am Konsumieren beeinträchtigen könnte. Und da störe der hilfsbedürftige Flüchtling der Gegenwart, ebenso, wie die Schatten der Vergangenheit, etwa die Erinnerung an den Holocaust.

Diese Erinnerung, dass vor nicht so langer Zeit grauenvolle Dinge passiert sind, störe unser Wohlbefinden, sagt Ottomeyer, insbesondere die Tatsache, dass es hier sehr viel unterlassene Hilfeleistung gegeben habe: „Man möchte das schlechte Gewissen, das aus der Geschichte kommt, weghaben.“ Den heutigen Antisemitismus gebe es nicht trotz Auschwitz, sondern wegen Auschwitz: „Man nimmt den Juden übel, dass sie uns diese ständige Gewissensbeunruhigung zumuten. Das muss doch mal aufhören, sagen die Leute.“

Der Neid auf das Enführungsopfer
Und manchmal gehe es – so unglaublich das klingen mag – ganz einfach nur um Neid. Manche Menschen empfinden Neid auf Opfer, weil sich der Staat um sie kümmert oder weil sie Medienaufmerksamkeit bekommen. Hier kämen frühkindliche Reflexe hoch, erklärt der Psychologe Ottomeyer: Der Neid auf Asylwerber sei vergleichbar mit dem Neid auf kleine Geschwister, die plötzlich die ganze Aufmerksamkeit der Eltern auf sich vereinen. Und wenn sich jetzt Vater Staat und Mutter Gesellschaft dieser Menschen annehme, fühlen wir uns manchmal vernachlässigt und so entstehe das Bild, denen würde vorne und hinten alles reingeschoben. Und das, wo sie doch nach uns gekommen sind.

Selbst eine Natascha Kampusch habe den Neid der Gesellschaft auf sich gezogen, berichtet Ottomeyer. Ein Opfer, das sich zu sehr in der Öffentlichkeit exponiert, das sich nicht so benimmt, wie es die Gesellschaft von einem Opfer erwartet, verliert in den Augen vieler die Glaubwürdigkeit. Doch tatsächlich nehmen die Opfer von Entführern und Folterern verschiedene Rollen ein. In der Trauma-Therapie unterscheidet man zwischen Victim – also dem hilflosen Opfer – und Survivor, dem Menschen, der die Kraft hatte und trickreich genug war, um die Tortur zu überleben.

AUDIO: Klaus Ottomeyer über den Neid auf Asylwerber

Die Angst vor dem eigenen Abstieg
Gerade diese Survivor-Qualitäten seien ganz wichtig, erklärt Klaus Ottomeyer, sowohl im Kontakt mit dem Täter, wie auch danach: „Im Leben nach der Traumatisierung ist es wichtig, dass das Opfer auch seine Unbotmäßigkeit zurückgewinnt. Das Bewusstsein, dass man jemand ist, der sich nicht ganz hat brechen lassen und sich auch jetzt nicht brechen lässt, sprich: sich nicht noch zum willenlosen Objekt irgendwelcher Medien und sonstiger Helfer machen lässt.“ An einem Opfer, dass nicht nur in der Opferrolle verharre, könne man ja sein eigenes Helfersyndrom nicht so gut ausleben und das könne zu Aggressionen gegen das Opfer führen.

Und ganz grundsätzlich helfe die Beschimpfung der Opfer auch gegen die eigene Angst, selbst einmal zum Hilfsbedürftigen zu werden, zum Invaliden und Opfer der gesellschaftlichen Prozesse. Die aktuelle Wirtschaftskrise, die viele Verlierer erzeugt, verstärkt diese Gefahr, glaubt Klaus Ottomeyer.

Buch:
Klaus Ottomeyer, Die Behandlung der Opfer: Über unseren Umgang mit dem Trauma der Flüchtlinge und Verfolgten, Klett-Cotta Verlag 2011


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