Krautreporter.de – Crowdfunding für Qualitätsjournalismus

16 10 2013
SENDUNG: Digital.leben, Mittwoch, 9. Oktober 2013, 
16:55 Uhr, Ö1 

Der Qualitätsjournalismus steckt in der Krise. Redaktionen werden in vielen Medienunternehmen zu Tode gespart und haben nicht mehr genügend Personal, um aufwändige Recherchen zu finanzieren. Darüber nur zu jammern, das sei zu wenig, sagte sich der deutsche Medienjournalist Sebastian Esser. Daher hat er Anfang des Jahres eine Crowdfunding-Plattform für Qualitätsjournalismus ins Leben gerufen. Leser, Hörer und Seher spenden für Rechercheprojekte, die ihnen wichtig erscheinen: Krautreporter.de nennt sich die Seite.

bild (c) Christa-Nöhren_pixelio.de

Leser anbetteln?

„Kopf oder Zahl“ – eine Webdoku über junge Europäer in der Wirtschaftskrise, „Jung und naiv“ – ein Polit-Talk-Format für politisch Desinteressierte, „Follow the money“ – über den illegalen Handel mit Elektroschrott. All diese Medienprojekte haben via Krautreporter die benötigte Finanzierung zusammenbekommen – zwischen 4.000 und 7.000 Euro. Theoretische dürfte jeder bei Krautreporter um Finanzierung bitten. „In Wirklichkeit ist es so, dass es sich in erster Linie an freie Journalisten richtet“, erklärt Gründer Sebastian Esser. Denn die etablierten Medien hätten noch Berührungsängste. Nicht, dass diese nicht auch mehr Geld nötig hätten. Schließlich werden viele Rechercheprojekte heute nicht mehr durchgeführt, weil eben kein Geld vorhanden ist: „Aber die tun sich noch schwerer, sich vom traditionellen Denken zu lösen. Sie sagen: wir wollen nicht unsere Leser anbetteln.“

Sebastian Esser ist seit mehr als zehn Jahren Medienjournalist. Er hatte das ewige Wehklagen über die Medienkrise satt und wollte etwas Neues probieren. Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz können Projekte einreichen. Krautreporter überprüft, wer die Personen dahinter sind und ob das Projekt auch wirklich durchgeführt wurde. Die Plattform übernimmt aber keine Garantie für den Erfolg. Schließlich kann bei Recherchen immer etwas schief gehen. „Andererseits zeigt die Erfahrung des Crowdfunding in anderen Bereichen, dass die Missbrauchsquote sehr gering ist“, meint Esser. Schließlich stehe man mit eigenem Namen und seiner gesamten Online-Reputation vor den Leuten. Diese könnten sich ein gutes Bild machen, was man in der Vergangenheit schon gemacht hat und können auch in Zukunft überprüfen, ob man getan hat, was man versprochen hat.

Neue Wege des Datenjournalismus
Extremistische, rassistische oder frauenfeindliche Inhalte würde Sebastian Esser nicht akzeptieren. Solche wurden bis jetzt auch nicht eingereicht. Riskante Recherchen, die Leib und Leben des Journalisten gefährden, möchte er auch lieber nicht fördern. „Bei uns gibt es eine redaktionelle Grenze und die bin ich“, erklärt der Medienjournalist. Die einzige Regel: es muss sich um ein journalistisches Projekt handeln, das frei von PR ist. Sprich: es darf nicht von vornherein schon feststehen, was hinten rauskommen soll.

Krautreporter richtet sich auch speziell an neuartige Formen von Medienprojekten. Solche, mit der die klassische Medienlandschaft noch nicht so viel anfangen kann. Ein Beispiel ist die EU-Transparenzplattform Lobbyplag – Sie wurde vom Wiener Verein „Europe versus Facebook“ gemeinsam mit der deutschen OpenDataCity ins Leben gerufen: „Das sind Kollegen, die mit Datenjournalismus arbeiten“, erklärt Sebastian Esser, „mit dem Geld, das sie bei uns gesammelt haben, wurde eine Software programmiert. Mit dieser können sie Einreichungen von Lobbyisten im EU-Parlament mit den letztendlichen Gesetzestexten vergleichen. So können sie feststellen, welche Lobbytexte im Gesetzestext gelandet sind.“

Alles oder nichts
Zum Beispiel analysierte Lobbyplag, auf welche Weise sich EU-Abgeordnete, Parteien und Staaten für die EU-Datenschutzlinie einsetzten: also, wer die Interessen der Wirtschaft vertrat und wer jene der europäischen Bürger und Bürgerinnen. Das Motto bei Krautreporter lautet übrigens: alles oder nichts. Wer nicht die gesamte eingereichte Summe an Spenden erreicht, der bekommt gar nichts. Bisher sei die Finanzierungsquote sehr hoch, berichtet Sebastian Esser: „Nämlich bei 80 Prozent. Das ist doppelt so hoch, wie bei anderen Crowdfunding Plattformen.“ Allerdings gibt er sich da keinen Illusionen hin. Wenn die Anfangseuphorie vorbei sei, werde die Quote wohl noch ein wenig sinken. Aber immerhin: Im ersten halben Jahr seit Gründung haben interessierte Leser und Leserinnen auf Krautreporter.de mehr als 100.000 Euro gespendet.

Auf die Frage, ob Crowdfunding DIE Lösung für die Krise des Journalismus sei, atmet Sebastian Esser tief durch. Sie wurde schon unzählige Male gestellt: Nein, denn es gebe keine Einzellösung, man müsse verschiedene Strategien ausprobieren. Aber zumindest sei das ein Beitrag.

DL


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